Wie alles begann – Die letzten fünf Jahre meines Lebens
Share
Wie alles begann – die letzten fünf Jahre meines Lebens
Vom Junggesellenleben auf der Baustelle zur MS-Diagnose, Vatersein, Fatigue – und dem Neustart mit Klartext & digitalen Büchern.
Zwischen altem Leben und Neustart.
2020: Autopilot
Ich war Gas-Wasser-Monteur im Kundendienst.
Mein Leben bestand aus Routine.
Der Wecker klingelte um fünf, ich griff im Halbschlaf zur Kippe, bevor ich überhaupt das Licht anmachte.
Kaffee aus der Maschine, kalter Toast, Dieselgeruch auf dem Parkplatz.
Dann rein in den Transporter, Radio rauscht, Thermobecher klappert im Becherhalter.
Ich lebte allein – typisches Junggesellenleben, aber nicht dieses freie, das nach Abenteuer klingt.
Eher dieses dumpfe Funktionieren ohne Ziel.
Ich war müde, aber nicht von der Arbeit – müde vom Sinnlosen.
Ich kiffte, um runterzukommen. Ich trank, um zu schlafen.
Und am nächsten Tag ging’s weiter, als wär’s normal.
Ich war kein schlechter Mensch, aber ich war leer.
Ich hatte keine Richtung, keine Motivation.
Arbeiten, rauchen, Netflix, pennen – Repeat.
Wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich glücklich bin, hätte ich wahrscheinlich gesagt: „Passt schon.“
Aber ehrlich war das nicht.
Unerwartet Vater
Dann kam sie – meine damalige Freundin.
Wir kannten uns kaum, aber irgendwas an ihr hat mich wachgerüttelt.
Alles war noch frisch, unsicher, und dann – beim ersten Mal zusammen, trotz Verhütung – schwanger.
Zwei Monate lang wussten wir von nichts.
Sie war ständig müde, ihr war jeden Morgen schlecht, aber wir dachten, das sei Stress.
Bis sie irgendwann zum Arzt ging, weil sie sich morgens immer übergeben musste.
Der Arzt machte einen Ultraschall vom Bauch – eigentlich nur, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist.
Und dann sah man’s.
Ein kleiner Schatten auf dem Bildschirm, ein pochender Punkt, kaum größer als ein Daumennagel.
Und dieser Moment, der alles verändert.
Kein Plan, kein Timing, kein Konzept – einfach Realität.
Sie wohnte in Hürth, ich in Duisburg.
Ich hatte keine Ahnung, wie man Vater wird,
aber ich wusste, dass ich Verantwortung übernehmen muss.
Also kündigte ich meinen Job, packte meine Sachen, zog nach Hürth.
Neuer Ort, neues Leben, neues Ich – dachte ich.
Aber der Job dort war die Hölle. Kein Team, kein Respekt, kein Sinn.
Ich machte weiter, weil ich musste, nicht weil ich wollte.
Ich funktionierte wieder – aber diesmal für zwei.
Ultraschall: Zwerchfellhernie
Dann kam der Tag, der uns den Boden unter den Füßen weggezogen hat.
Beim letzten Ultraschall wurde der Arzt plötzlich still.
Er drehte den Monitor leicht weg, schaute konzentriert und sagte dann ruhig:
„Da stimmt etwas nicht.“
Der Magen lag neben dem Herzen.
Diagnose: Zwerchfellhernie.
Ein Wort, das du vorher nie gehört hast,
aber du merkst sofort, dass es nichts Gutes bedeutet.
Ab da war die Schwangerschaft vorbei – zumindest emotional.
Kein Vorfreude-Zählen mehr, kein Kinderzimmer einrichten,
nur Angst, Ungewissheit, Krankenhausgespräche.
Bonn wurde unser zweites Zuhause.
Uniklinik, Aufklärungen, Fachbegriffe, OP-Pläne –
alles drehte sich nur noch um Zahlen und Wahrscheinlichkeiten.
Sie kam per Kaiserschnitt.
Ich weiß noch, wie still der Raum war, als sie das erste Mal geatmet hat.
Danach lag sie sechs Tage lang auf der Intensivstation,
wurde stabilisiert, mit Schläuchen, Sensoren und einem leisen, ständigen Piepen um sie herum.
Nach sechs Tagen war sie stabil genug für die Operation –
und die fand einfach im Zimmer statt.
Kein OP-Saal, kein großes Spektakel.
Sie lag in ihrem Inkubator, und die Ärztinnen arbeiteten ruhig, fast beiläufig,
als wäre das alles Routine.
Nach der OP blieb sie mehrere Wochen in diesem kleinen Kasten.
Wir kamen jeden Tag, saßen stundenlang daneben,
hörten die Geräte piepen und sahen, wie sie jeden Tag ein bisschen kräftiger wurde.
Und jedes Mal, wenn wir abends gingen,
kam dieser eine Moment:
Eine Schwester zog die Decke über den Inkubator,
so als würde man einen Vogelkäfig abdecken, damit er schlafen kann.
Das war jedes Mal das Schwerste –
weil man sie da drin liegen sah, so klein, so still,
und einfach gehen musste.
Aber sie hat’s geschafft.
Heute ist sie kerngesund – ohne Reflux, ohne bleibende Schäden, ohne Entwicklungsverzögerung.
Damals war das der Moment, in dem ich verstanden hab,
was Verantwortung wirklich bedeutet:
nicht stark tun, sondern da bleiben, egal wie’s dir selbst geht.
Diese Zeit war später die Grundlage für mein Handwerker-Buch.
Weil mir da klar wurde,
wie viele Menschen funktionieren, obwohl sie längst innerlich am Limit sind.
Corona, RSV – und dann MS
Zwei Monate später kam Corona.
Dann RSV – die nächste Welle direkt hinterher.
Erst das Kind, dann meine Freundin, dann ich.
Das Ironische: Meine Tochter hat das alles weggesteckt, als wär’s nichts.
Drei Tage leichtes Fieber, kaum Geschrei, kein Drama –
einfach weitergemacht, als wär sie unzerstörbar.
Ich dagegen lag komplett flach.
Fieber, Schwindel, Kreislauf im Keller – das volle Programm.
Mir ging’s richtig beschissen, während sie grinsend neben mir lag.
Vier Monate nach der Geburt bekam ich wieder einen Job.
Kundendienst, diesmal besser bezahlt.
Ich war froh, wieder gebraucht zu werden,
auch wenn ich körperlich eigentlich noch nicht fit war.
Der Tag, an dem sich alles drehte
Und dann kam dieser Tag.
Ganz normaler Auftrag, Routine.
Ich war beim Kunden, alles lief wie immer –
bis plötzlich das Sehen verschwamm.
Zuerst dachte ich, ich sei einfach müde.
Aber dann wurden aus zwei Bildern vier.
Die Welt verdoppelte sich, mein Gleichgewicht verabschiedete sich gleich mit.
Ich saß im Firmenwagen, atmete flach,
versuchte mich zu sammeln,
aber das Schwindelgefühl blieb.
Ich wusste, irgendwas läuft hier komplett falsch.
Verdacht auf Schlaganfall
Ich fuhr direkt zum HNO – immer noch in Arbeitsklamotten, Werkzeug im Wagen, Schweiß auf der Stirn.
Er untersuchte mich, guckte in die Ohren, machte ein paar Tests,
und meinte dann ruhig:
„Mit den Ohren ist alles in Ordnung – gehen Sie sofort zum Neurologen nebenan.“
Der Neurologe war direkt im selben Gebäude, ganz oben.
Er ließ mich Reflexe testen, Pupillenbewegung, Hand-Auge-Koordination.
Nach ein paar Minuten sagte er, fast beiläufig, aber mit diesem Ton, der dir sofort klar macht, dass es ernst ist:
„Ich überweise Sie sofort in die Uniklinik Köln. Verdacht auf Schlaganfall.“
Ich nickte, nahm den Überweisungsschein, und ging raus.
Im gläsernen Aufzug über dem Hürth Park sah ich die Stadt unter mir, in der Ferne den Dom, und dachte:
Jetzt bist du Vater. Hast das alles durch. Und jetzt stirbst du hier – in einem Einkaufszentrum.
Ich nahm ein Taxi zur Uniklinik. Absurd, wenn man „Schlaganfallverdacht“ hört.
In der Klinik ging es schnell: CT, Blutdruck, Reflexe, MRT – immer dieselbe Frage: „Sehen Sie doppelt?“
Am Ende die Lumbalpunktion: Nervenwasser aus der Wirbelsäule. Lange Nadel, tief. Sehr angenehm – kann ich empfehlen.
Einen Tag später die Diagnose: Multiple Sklerose.
Stammhirn – wo’s am meisten wehtut
Die Läsionen lagen im Stammhirn. Gleichgewicht, Sprache, Reflexe, Motorik – alles, was man nie hinterfragt.
Ich konnte nicht mehr gerade laufen. Ein Auge stand still, der Sehnerv war gelähmt.
Ich griff nach Werkzeug, die Hand öffnete sich einfach wieder. Wie ein Kabel ohne Strom.
Auf der Arbeit ließ ich eine vergoldete 5.000-Euro-Armatur fallen. Nicht wegen des Geldes unvergesslich, sondern wegen der Erkenntnis: So geht’s nicht weiter.
Ich fuhr nach Hause, saß ewig im Auto, Motor aus, Kopf leer. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich keinen Plan.
Nächte ohne Antwort
Wohnung still, nur der Kühlschrank brummt. Stunden statt Schafe.
Was jetzt? Was bin ich? Was will ich überhaupt noch?
Ich dachte an meine Tochter, an diese Verantwortung, die ich nie gesucht hatte, die mich aber zusammenhielt.
Das alte Leben weg, das neue noch nicht da. Übrig blieb: So kann’s nicht weitergehen.
Kein großer Moment, nur eine leise, zähe Erkenntnis: Ich bin mir selbst was schuldig. Aufgeben ist keine Option, genauso wenig das alte Weitermachen
Amt, Attest, Fatigue
Ich bat zum ersten Mal um Hilfe. Der Amtsarzt schrieb: arbeitsunfähig für meinen erlernten Beruf. Der Monteur in mir war vorbei.
Statt Werkzeug kämpfte ich mit meinem Körper. Extreme Fatigue: wochenlang müde, leer, ohne Fokus. Zähneputzen als Projekt, Treppen wie Marathon.
Heute – klopf auf Holz – ist es zu ~90 % besser. Zwei bis vier Tage im Monat bremst der Körper, der Rest funktioniert wieder: nicht perfekt, aber genug, um zu leben statt zu überleben.
Haltung: Verantwortung heißt nicht stark bleiben. Verantwortung heißt, ehrlich genug zu sein, das Alte loszulassen, bevor es dich zerstört.
Neustart: Lernen, Systeme, Klartext
Ich lernte, was digital möglich ist: E-Commerce, Marketing, später KI. Erst planlos, dann besessen. Shopify, Ads, Texte, Systeme – Fehler, löschen, neu bauen. Nächte durch, mit Kopfschmerzen, aber mit Hoffnung.
Dropshipping war nie ein Traum, sondern der erste funktionierende Plan B. Und dann wurde klar: Vieles da draußen ist Show. Erfolg beginnt mit Ehrlichkeit – zuerst zu dir selbst. Also schrieb ich. Nicht, um zu belehren, sondern um zu erklären – für mich und für die, die feststecken
Warum ich heute schreibe
Aus dieser Zeit kommen meine Bücher. Erst Dropshipping, dann KI, und dazwischen immer: Ehrlichkeit, Realität, Verantwortung. Wer den Blick in den Spiegel aushält, versteht, warum ich „Spiegel & Werkzeug“ geschrieben habe: weniger Maschinen, mehr wir
Und heute
Ich weiß nicht, wohin das führt. Aber ich weiß, dass ich morgens aufstehe und etwas tue, das Sinn ergibt. Nicht perfekt, nicht planbar – aber echt. Und das reicht
Mehr Realität statt Show
Meine Bücher sind keine Hochglanz-Stories. Sie sind der Blick hinter die Kulissen. Damit du echte Entscheidungen treffen kannst.